Affen, ChatGPT und wir
Was haben Affen, ChatGPT und wir gemeinsam? Laut Quentin Gallot, einem Doktoranden an der Universität Neuenburg und Forscher am NCCR Evolving Language, besitzen sie alle aussergewöhnliche Fähigkeiten zur Vorhersage, die sich in Ähnlichkeiten ihrer Kommunikationssysteme manifestieren. In einer neuen Studie, die im Journal iScience veröffentlicht wurde, analysierten der Forscher und sein Team die Vokalisierungen von Oliven-Colobus-Affen, Affen aus Westafrika, und entdeckten ein unerwartetes grammatikalisches System. Diese Entdeckung bietet neue Einblicke in die Evolution der menschlichen Sprache und ihre Parallelen zur künstlichen Intelligenz.

Ein Oliven-Colobus-Affe. © Clémentine Bodin.
Oliven-Colobus-Affen (Procolobus verus), diskrete Bewohner der tropischen Wälder, haben ein einfaches Kommunikationssystem, das nur aus zwei Rufarten besteht: einem kurzen, tiefen Ruf (A) und einem langen, hohen Ruf (B). Diese Primaten kombinieren diese Rufe in Sequenzen, die bis zu 24 aufeinanderfolgende Rufe erreichen können – Kombinationen, die alles andere als zufällig sind.
In einer früheren Studie hatte Quentin Gallot bereits gezeigt, dass diese Art spezifische Regeln befolgt, um ihre Rufe zu kombinieren, je nach Art der Bedrohung. Zum Beispiel signalisiert eine Sequenz, die mit „A“ beginnt, die Anwesenheit eines Adlers, während eine Sequenz, die mit „B“ beginnt, die Entdeckung eines Leoparden oder den bevorstehenden Fall eines Baumes anzeigt. Aufbauend auf diesen Erkenntnissen wollen die Forscher nun verstehen, wie Informationen innerhalb dieser langen Rufsequenzen fliessen.
Wenn jeder Ruf zählt
Angesichts einer plötzlichen und unvorhersehbaren Gefahr zählt jeder Ruf. „Um die Überlebenschancen zu maximieren, müssen wesentliche Informationen von den allerersten Alarmrufen einer Sequenz an übermittelt und verstanden werden“, sagt Quentin Gallot, Erstautor der Studie. Um diese Hypothese zu testen, analysierte der Forscher Tausende von Lautäusserungen von Oliven-Colobus-Affen, die im Taï-Nationalpark (Côte d’Ivoire) aufgenommen wurden. Um diese Rufsequenzen zu entschlüsseln, verwendete er statistische Modelle, die normalerweise für das Studium der menschlichen Sprache verwendet werden.
In seiner Studie zeigt Quentin Gallot, dass Informationen über die Art der Gefahr schrittweise übermittelt werden. Der allererste Ruf liefert bereits einen zuverlässigen Hinweis auf das Bedrohungsniveau, indem er einen Adlerangriff – der eine sofortige Reaktion erfordert – von anderen, weniger dringenden Störungen unterscheidet. Der dritte Ruf spezifiziert dann weiter die Art der Bedrohung und unterscheidet einen Leoparden von einem fallenden Baum. Nachfolgende Rufe können dann die Informationen anpassen oder verfeinern, die ursprüngliche Nachricht bestätigen oder korrigieren.
Im Herzen der kunstlischen Intelligenzen
„Wir Menschen warten nicht bis zum Ende eines Satzes, um zu reagieren oder zu antworten, weil unsere Gehirne sehr gut darin sind, das nächste Wort vorherzusagen und unsere Grammatik darauf abgestimmt ist“, erklärt der Biologe. Dieses Prinzip steht auch im Zentrum generativer, künstlicher Intelligenzen wie ChatGPT, die dank Algorithmen, die das nächste Wort vorhersagen können, in nur wenigen Jahren überraschend gut darin geworden sind, wie Menschen zu sprechen.
Aber ist diese Fähigkeit einzigartig für unsere Spezies? Wahrscheinlich nicht. Oliven-Colobus-Affen besitzen eine Form von Grammatik, die es ihnen wie Menschen ermöglicht, eine Nachricht schrittweise zu verstehen, indem sie die kommenden Rufe vorhersagen. „Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass diese Fähigkeit, über Grammatik Informationen innerhalb einer Rufsequenz vorherzusagen und zu interpretieren, lange vor dem Aufkommen der menschlichen Sprache entstanden sein könnte“, schliesst er.
Bisher hat sich Quentin Gallot auf Alarmsituationen konzentriert, aber diese Affen kommunizieren auch während ihrer täglichen Interaktionen. „Ihre Lautproduktion scheint noch komplexer zu sein, mit längeren Rufsequenzen und mehr akustischen Variationen“, erklärt der Forscher. Diese Elemente plant sein Team in einer kommenden Studie zu erforschen. Dies könnte vielleicht weitere Aspekte des Kommunikationssystems dieser Affen offenbaren und neue Perspektiven auf die Entstehung unserer eigenen Sprache bieten.