Entschlüsselung der Struktur von Rufsequenzen bei Weissbüschelaffen
Laut Wissenschaftlern der Universität Zürich und des NFS Evolving Language könnten einige Aspekte menschlicher Sprache weniger einzigartig sein, als bisher angenommen. In einem neuen Artikel, der in Royal Society Open Science veröffentlicht wurde, arbeitete ein Team aus Linguist:innen und Biolog:innen zusammen, um die Komplexität von Rufkombinationen bei einer südamerikanischen Affenart, dem Weissbüschelaffen, zu erforschen. Die Forscher zeigen, dass diese Affen in der Lage sind, zwei oder mehr Rufe mit hierarchischen Regeln zu kombinieren – etwas, das zuvor für Tiere als unmöglich galt.
Zwei Weissbüschelaffen. © Judith M. Burkart, UZH.
Mehr als zwei Rufe?
Weissbüschelaffen sind sehr soziale Affen, die in den dichten tropischen Wäldern Brasiliens leben. Um miteinander zu kommunizieren, verfügt die Art über ein komplexes Kommunikationssystem, welches aus acht verschiedenen Rufarten besteht (Ek, Twitter, Tsk, Phee, Chirp, Whistle, Trill und Chatter). Jeder Ruf wird von den Affen in unterschiedlichen Verhaltenssituationen eingesetzt. Simon Townsend, einer der Ko-Leiter der Studie, erklärt: „Kontakt-Rufe dienen dazu, den Kontakt zu anderen Gruppenmitgliedern zu halten, während Mobbing- und Alarmrufe dazu dienen, andere Affengruppen abzuwehren oder andere vor einem nahen Raubtier zu warnen. Dem entgegengesetzt dienen Nahrungsrufe dazu, andere über Nahrungsquellen zu informieren“.
Für Menschen resultiert die Komplexität der Sprache nicht nur aus der Anzahl der Laute, die wir erzeugen können. Wir sind auch in der Lage, diese Laute zu Wörtern zu kombinieren und diese Wörter zu längeren Folgen – Sätzen – zusammenzufügen, bei denen die relative Position jedes Wortes die Bedeutung des Satzes beeinflussen kann. Einige Tiere können ihre Rufe ebenfalls zu satzähnlichen Konstrukten zu kombinieren. Der derzeitige Konsens in der Forschung zum Tierverhalten besagt jedoch, dass Tiere höchstens zwei Rufe kombinieren. „Wir wollten herausfinden, ob das bei Weissbüschelaffen ebenfalls der Fall ist und ob der Unterschied zwischen Tieren und Menschen hier wirklich so gross ist, wie bisher angenommen“, erklärt Alexandra Bosshard, Erstautorin der Studie.
In ihrer Studie, die in Royal Society Open Science veröffentlicht wurde, analysierten die Forscher die Rufe der Weissbüschelaffen und zeigten, dass von 8.000 aufgezeichneten Lautäusserungen mehr als 10 % Teil von Folgen aus drei oder mehr Rufen waren. „Wir zeigen, dass Weissbüschelaffen regelmässig Rufe kombinieren. Interessanterweise bestehen diese Kombinationen oft aus mehr als nur zwei Rufen“, erklärt Bosshard.
Regeln in der Rufabfolge
Die Forscher interessierten sich besonders dafür, wie diese Rufe innerhalb der Folgen kombiniert wurden. Durch die Modellierung der Wahrscheinlichkeiten, mit denen Rufe gemeinsam auftreten, konnten die Forscher Regeln aufdecken, die bestimmen, welcher Ruf auf einen bestimmten anderen folgt. Balthasar Bickel, Ko-Leiter der Studie, erklärt: „ Interessanterweise, fanden wir aber heraus, dass eine sogenanntes Markov-Modells 2. Ordnung die Affen-Kombinationen am besten vorhersagte, was bedeutet, dass der nächste Ruf in einer Abfolge nicht nur vom aktuellen, sondern von der Kombination zweier vorangehender Rufe abhängt“.
Den Ergebnissen der Autoren zufolge gibt es Regeln, die bestimmen, welcher zusätzliche Ruf auf eine Kombination aus zwei Rufen folgen kann. Ein Ek-Ruf folgt zum Beispiel mit hoher Wahrscheinlichkeit auf eine Zweier-Kombination, die Tsk enthält. Das Auftreten eines Ek-Rufs lässt sich nicht allein aufgrund von nur Tsk nicht gleich gut vorhersagen.
Die Forscher bemerkten ausserdem, dass die Kombinationen von Verhaltenszuständen abhängen scheinen: So ist es beispielsweise häufig, dass ein Nahrungsruf auf einen Kontaktruf folgt und dann wieder zu einem Nahrungsruf wechselt.
„Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass – ähnlich wie in der menschlichen Sprache – die Rufe nicht wie Perlen auf einer Schnur aneinandergereiht sind, sondern dass eine gewisse hierarchische Struktur vorhanden ist“, kommentiert Bickel. „Was wir jedoch noch nicht wissen, ist, ob die Strukturen der Weissbüschelaffen auf ähnliche Weise wie beim Menschen erzeugt werden und ob sie Unterschiede in der Bedeutung umfassen“, schliesst der Forscher.
Reference
About the NCCR Evolving Language