Grammatikunterricht mit Grünen Stummelaffen
Grüne Stummelaffen sind unauffälliger Primaten aus den Wäldern der Elfenbeinküste und überraschen durch den Reichtum ihrer vokalen Kommunikation. Laut einer Studie der Universität Neuenburg sind diese kleinen Affen trotz ihres begrenzten Stimmrepertoires in der Lage, eine Vielzahl von Informationen zu übermitteln, indem sie ihre Rufe nach bestimmten Regeln kombinieren. Diese Entdeckung, die in der Fachzeitschrift iScience veröffentlicht wurde, wirft ein Licht auf die Entwicklung der Komplexität der vokalen Kommunikation bei Primaten – einschliesslich der menschlichen Sprache!
Ein Grüner Stummelaffen (Procolobus verus). © Clémentine Bodin.
Besteht kein Bedarf für komplexe Kommunikation, wenn man ein nicht so soziales Tier ist? Eine Studie der Universität Neuenburg und des NFS Evolving Language hat ergeben, dass Grüne Stummelaffen diese Hypothese widerlegen können. Diese kleinen Affen, die in den tropischen Wäldern der Elfenbeinküste leben, verfügen zwar über ein erstaunlich begrenztes Stimmrepertoire, doch kompensieren sie dies, indem sie ihre Rufe zu Sequenzen zusammenstellen. In ihrer Studie, die kürzlich in der Zeitschrift iScience veröffentlicht wurde, konnten die Forschenden sogar die Bedeutung einiger dieser Kombinationen entschlüsseln und eine rudimentäre „Grammatik“ aufzeigen. Jede Abfolge von Rufen ist keineswegs willkürlich, sondern kann Informationen über die Art einer Gefahr in der Umgebung vermitteln. Diese Entdeckung bietet ein einzigartiges Modell für die Erforschung der Ursprünge sprachlicher Komplexität bei unseren Vorfahren.
Das geheime Leben der Grünen Stummelaffen
Grüne Stummelaffen sind unauffällige Primaten, die verborgen in den tropischen Wäldern der Elfenbeinküste leben. Um nicht aufzufallen, verschmelzen sie dank ihrer Färbung und ihres ruhigen und (fast!) lautlosen Verhaltens mit ihrer Umgebung, wodurch sie nur schwer zu entdecken sind! „Das macht es besonders schwierig, sie in den dichten Wäldern der Elfenbeinküste zu entdecken“, erklärt Quentin Gallot, Erstautor der Studie über die Vokalisationen dieser kleinen Affen. „Um ihre Vokalisationen zu untersuchen, mussten wir jeden Tag weite Strecken zurücklegen und sehr geduldig sein.“
Frühere Studien haben ergeben, dass Grüne Stummelaffen aus noch unbekannten Gründen eine sehr unsoziale Art sind. „Die Tiere leben in kleinen Gruppen von höchstens 2 bis 15 Individuen und haben einen schwachen Zusammenhalt“, berichtet Quentin Gallot. „Sie zeigen auch sehr wenige soziale Interaktionen, wie z. B. gegenseitiges Putzen oder gemeinsames Spielen.“ Und geringe soziale Komplexität bedeutet geringe Kommunikationskomplexität… es sei denn, das ist nicht immer der Fall?
Regeln für binäres Sprechen
Grüne Stummelaffen haben eine der geringsten Rufdiversitäten unter den Landtierarten. Die in der Fachzeitschrift iScience veröffentlichte Studie zeigt, dass diese kleinen Primaten über ein sehr einfaches Repertoire verfügen, das aus nur zwei Arten von Rufen besteht: dem „A“-Ruf und dem „B“-Ruf. Das Besondere an den Stummelaffen ist jedoch ihre Fähigkeit, diese zu kombinieren. „Die Rufe werden fast nie isoliert erzeugt, sondern in langen Sequenzen, die nach einer Reihe von syntaktischen Regeln zusammengestellt werden“, verrät Gallot. Eine ungeahnte Komplexität, die die Fähigkeiten anderer nicht-menschlichen Primatenarten in der gleichen Umwelt bei weitem übertrifft!
Durch die systematische Analyse von mehr als 10 Jahren an Aufnahmen von Grünen Stummelaffen konnten die Forschenden drei Regeln für die Kombination von Rufen ermitteln:
- Die Anzahl der „B“-Rufe ist immer geringer als die Anzahl der „A“-Rufe in einer Sequenz.
- Sequenzen enden immer mit einem A-Ruf.
- Auf einen ‘B’-Ruf folgt nie ein zweiter ‘B’-Ruf.
„Wir waren in der Lage, alle jemals aufgezeichneten Sequenzen zu einem schematisierten Entscheidungsablauf zusammenzufügen, der es uns ermöglichte, die Struktur der Daten in Form von mathematischen Formeln zu extrahieren“, sagt der Forscher.
Ein Vorläufer der menschlichen Grammatik
Durch die Kombination von Rufen auf diese Weise scheint die Kommunikation der Grünen Stummelaffen eine Form der Kompositionalität zu beinhalten. Diese ist ein Merkmal der menschlichen Sprache und ein Vorläufer der Grammatik. „Das Prinzip der Kompositionalität ist, dass sich die Bedeutung eines komplexen Ausdrucks aus der Bedeutung seiner einzelnen Teile und deren Anordnung ergibt“, erklärt Quentin Gallot. „Die Grammatik legt diese Komposition dann formal fest, indem sie Regeln für die Anordnung der Elemente aufstellt, um kohärente, verständliche Sätze zu erzeugen.“
Obwohl sich die Wissenschaftler nicht einig sind, ob dieses Phänomen der Kompositionalität auch bei nicht-menschlichen Tieren vorkommt, bleiben die Grünen Stummelaffen ein hervorragendes Modell für die Evolution der Sprache. „Durch die Charakterisierung ihres Kommunikationssystems sahen wir die Möglichkeit, besser zu verstehen, wie die vokale Komplexität bei unseren engsten Verwandten entstehen kann, und dadurch etwas mehr über unsere eigene Evolutionsgeschichte zu erfahren“, berichtet Quentin Gallot.
Neue Bedeutungen durch die Kombination von Rufen
Mit Hilfe von Playback-Experimenten wurden einige der Sequenzen mit ökologischen Kontexten in Verbindung gebracht, so dass ihre Bedeutung erahnt werden konnte. Quentin Gallot und seine Kolleg*innen spielten den Tieren Aufnahmen von Adler- und Pantherrufen und das Geräusch fallender Bäume vor. Anschliessend verglichen sie die Rufe, die die Affen als Reaktion darauf ausstiessen.
Ihre Ergebnisse zeigen, dass Grünne Stummelaffen je nach Geräusch, Sequenzen mit unterschiedlicher Struktur als Antowrt darauf produzieren, wobei die Abfolge von „BA“-Rufen den Kern dieser Sequenzen bildet. Nachdem sie einen Leoparden gehört haben, produzieren die Affen nur „BA“-Rufe, nach dem Hören eines Adlers produzieren sie mehrere „A“-Rufe gefolgt von einer „BA“-Sequenz und nach dem Hören eines fallenden Baumes geben sie eine „BA“-Sequenz gefolgt von mehreren „A“-Rufen von sich.
Rufkombination eine Grünen Stummelaffen als Reaktion auf ein Leopardenknurren © Quentin Gallot.
Mit diesen Regeln können die Affen, selbst dann, wenn sie den Anfang einer Sequenz verpasst haben, die Präsenz von Raubtieren (Adlern und Panthern) von einem weniger gefährlichen Ereignis (einem umstürzenden Baum) durch Variation am Ende der Sequenz („BA“ für Panther und Adler und „AA“ für umstürzende Bäume) unterscheiden. „In diesem Stadium des Forschungsprojekts sind wir noch nicht in der Lage, die genaue Bedeutung der Rufe zu kennen. Allerdings konnten wir syntaktische Regeln mit gewissen Ereignissen in Verbindung bringen, beispielsweise mit der Anwesenheit eines bestimmten Raubtiers oder anderen Gefahren“, erläutert Quentin Gallot.
Nachdem die Forschergruppe nun die Grundlagen dieses kombinatorischen und syntaktischen – also bedeutungstragenden- Kommunikationssystems beschrieben hat, will sie noch weiter gehen. „Wir möchten tiefer gehen und sehen, welche Details in den Rufsequenzen kodiert sind und welche Informationen von den Empfängern tatsächlich genutzt werden“, so das Fazit des Forschers.