Menschenaffen und Menschen nehmen Ereignisse auf ähnliche Weise wahr
Dies ist eine Welt der Agenten. In einer artübergreifenden Studie haben Forschende der Universität Neuenburg und des NFS Evolving Language herausgefunden, dass Menschenaffen eine ähnliche Wahrnehmung von Ereignissen haben könnten wie der Mensch. Genau wie wir scheinen unsere unsere Cousins dazu zu neigen, sich mehr auf den Agenten einer Handlung zu konzentrieren (d.h. auf denjenigen, der die Handlung ausführt), insbesondere wenn es sich um ein belebtes Wesen handelt. Dies deutet laut Sarah Brocard und ihrem Team darauf hin, dass die Syntaxmerkmale, die in den menschlichen Sprachen universell sind, auf unsere Vorfahren zurückzuführen sind.
Schimpansen bei der Arbeit mit dem Touchscreen. © Zoo Basel
„Die Katze frisst die Maus“ oder „Die Maus wird von der Katze gefressen“. Wir Menschen scheinen eine (fast) universelle Vorliebe für Agenten bei der Entfaltung von Ereignissen zu haben, was sich in unserer Satzstruktur zeigt. Das bedeutet, dass wir dazu neigen, davon auszugehen, dass das erst Genannte, der Agent der Handlung ist. Und wenn wir durch den Rest des Satzes eines Besseren belehrt werden, unternimmt unser Gehirn zusätzliche Anstrengungen, um die Information neu zu bewerten. Gibt es diese Eigenschaft nur beim Menschen, oder finden wir sie auch bei unseren nächsten lebenden Verwandten, den Menschenaffen? Forschenden zufolge könnte diese Vorliebe für Agenten schon vor der Aufspaltung unserer Spezies aufgetreten sein.
Mehr Interesse für den Agenten
Forschende der Universität Neuenburg und des NCCR Evolving Language haben herausgefunden, dass Menschenaffen eine ähnliche Wahrnehmung von Ereignissen haben könnten wie Menschen. Ein artenübergreifendes Experiment im Zoo Basel hat gezeigt, dass unsere Verwandten dazu neigen, sich mehr auf den Akteur einer Handlung zu konzentrieren (d.h. auf denjenigen, der die Handlung ausführt), insbesondere wenn es sich um einen lebenden Agenten handelt.
In dem Experiment zeigten die Wissenschaftler*innen allen Tierarten kurze Videos von Agenten, die auf Patienten einwirken. Es wurden verschiedene Bedingungen getestet, von belebten Agenten, die auf unbelebte Patienten einwirken (z. B. ein Gorilla, der auf einem Eimer trommelt), bis zu unbelebten Agenten, die auf belebte Patienten einwirken (z. B. ein Luftballon, der das Gesicht eines Menschen trifft). Am Ende eines jeden Videos konnten die Probanden den Bildschirm berühren, wo immer sie wollten. Infolgedessen berührte ein großer Teil von ihnen den Agenten des Ereignisses und nicht den Patienten.
Zur Überraschung der Forschenden war die Präferenz für den Agenten jedoch nicht so ausgeprägt, wenn es sich um Tiere handelte, die auf Tiere einwirken. In diesem Fall wurde die Präferenz auch von der Art der Interaktion beeinflusst. „Dieser Befund deutet darauf hin, dass die Agenten-Präferenz, die beim Menschen eine sehr starke kognitive Tendenz ist, immer noch beeinflusst und moduliert werden kann“, kommentiert Sarah Brocard, Erstautorin der Studie und Doktorandin an der Universität Neuenburg. „Und im Hinblick auf die Evolution der Syntax halte ich das für sehr interessant“, fügt sie hinzu.
Eine einzigartige artenübergreifende Studie
Bei dieser Studie arbeiteten die Forscher mit vielen Hominiden (oder Menschenaffen), darunter menschliche Kinder und Erwachsene, Schimpansen, Gorillas und Orang-Utans. Es war wichtig, dass alle Gruppen unter ähnlichen Bedingungen getestet wurden, damit die Ergebnisse zwischen den Arten verglichen werden konnten. Aus diesem Grund entschieden sich die Forschenden mit einem Touchscreen-Gerät zu arbeiten, das die Videos abspielt und den Teilnehmenden die Möglichkeit gibt, die gewünschte Region auf dem Bildschirm auszuwählen.
Dieser Ansatz war mit Herausforderungen verbunden. „Ursprünglich dachte ich, dass das Training der Affen der schwierigste Teil sein würde, weil sie zu diesem Zeitpunkt noch unerfahren im Umgang mit Videos auf Touchscreens waren und ich mir nicht ganz sicher war, wie sie reagieren würden“, erinnert sich Brocard. „Aber es stellte sich heraus, dass dies der einfachste Teil war, da die Affen alle von den Videos fasziniert waren.“ Am schwierigsten seien hingegen die Menschen gewesen, sagt sie: „Ich wollte meine Tests im Affenhaus des Zoo Basel durchführen, direkt vor dem Gehege der Schimpansen, während die Affen ebenfalls an einem ähnlichen Experiment teilnahmen. Es erwies sich jedoch als sehr schwierig, in dieser Umgebung Teilnehmende zu rekrutieren und zu testen, da es zu laut war, es viele Ablenkungen gab und die Besuchenden einfach ihren Besuch fortsetzen wollten.“
Am Ende konnten die Forschenden Ergebnisse von 20 Erwachsenen und 50 Kindern erhalten, und das Experiment bot ihnen eine grossartige Möglichkeit, ihre Forschungsarbeit der Öffentlichkeit vorzustellen und zu erklären. „Trotz dieser Herausforderungen bin ich froh, dass ich es ausprobiert habe, denn es bot eine einzigartige Interaktion mit der Öffentlichkeit“, fügt Sarah Brocard hinzu.
Die Ereigniskognition und die Evolution der menschlichen Sprache
Nach der Theorie der Ereigniskognition dient die Fähigkeit, Ereignisse in ihre verschiedenen Komponenten (“Agent”, “Patient” und “Aktion”) zu zerlegen, als Grundlage für die Syntax. “Grob gesagt, verbindet die Syntax die Elemente eines Ereignisses auf systematische Art und Weise, bevor sie allerdings dazu in der Lage ist, muss das Gehirn in der Lage sein, die Beziehung zwischen den Komponenten zu unterscheiden und zu verstehen“, erklärt Sarah Brocard. Ein erster Schritt zur Syntax im eigenen Kommunikationssystem ist also die Fähigkeit, den Ablauf von Ereignissen zu verstehen.
Diese Studie zeigt eine auffallende Ähnlichkeit zwischen der Art und Weise, wie wir und unsere nahen Verwandten Ereignisse verarbeiten und Entscheidungen fällen. In den meisten menschlichen Sprachen wird in der Regel davon ausgegangen, dass das zuerst genannte Lebewesen in einem Satz der Agent der auszuführenden Handlung ist. Die Ergebnisse der Forschenden deuten darauf hin, dass diese Denkweise keine Folge unseres Sprachverhaltens ist, sondern eher umgekehrt: Unsere Vorfahren könnten eine Vorliebe für Agenten gehabt haben, lange bevor es Sprache gab. “Jetzt, da wir herausgefunden haben, dass Menschenaffen eine ähnliche Wahrnehmung von Ereignissen haben wie wir, müssen wir verstehen, was sie daran hindert, sich darüber zu verständigen, “wer was mit wem macht”,” kommentiert Brocard.
Das Rätsel bleibt bestehen
Die Forschenden sind überglücklich über die möglichen Auswirkungen, die ihre Arbeit auf die Theorie der Ereigniskognition haben könnte, insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Kommunikation. Aber es bleiben viele Fragen: “Warum unterscheiden sich Menschenaffen und Menschen darin, wie sie über diese Ereignisse kommunizieren? Ich finde diese Frage unglaublich faszinierend und hoffe wirklich, dass unsere Forschung uns einer Antwort näher bringt“, sagt Brocard. Die Gruppe führte auch eine ähnliche Studie mit einem Eye-Tracker durch, die ganz andere Ergebnisse lieferte. “Wir sind jetzt dabei, einen neuen Aufbau zu entwickeln, der Eye-Tracking und Touchscreen kombiniert, um zu verstehen, wie Blicke und Entscheidungsfindung zusammenhängen“, erklärt Brocard. “Es wäre auch schön zu testen, ob eine solche Vorliebe auch bei anderen Tiergruppen, die keine Primaten sind, vorhanden ist“, fügt sie hinzu.