Perus verborgenes genetisches Erbe steht in Verbindung mit den alten Moche-Völkern
Die Nordküste Perus ist eine Region, die für ihr reiches archäologisches Erbe bekannt ist, doch die Geschichte ihrer Bewohner*innen ist noch weitgehend unerforscht. Ein internationales Team aus Genetiker*innen und Linguist*innen untersuchte die tiefen genetischen Wurzeln und die historische Kontinuität der Region in einer neuen Studie, die in Scientific Reports veröffentlicht wurde.
Von dem NFS Evolving Language
Ein Grossteil der Geschichte Südamerikas vor der spanischen Eroberung ist nach wie vor unbekannt. Das Fehlen schriftlicher Aufzeichnungen vieler alter Kulturen sowie die historische Fokussierung auf die Kolonialzeit haben zu erheblichen Lücken in unserem Verständnis der Vergangenheit des Kontinents geführt. Die Zentralanden beherbergen einige der frühesten und komplexesten Gesellschaften des Kontinents. Die Forschung hat sich auf die Inka- und Tiwanaku-Zivilisationen im südlichen Hochland konzentriert, doch die Nordküste Perus war ebenso bedeutend. Dort entstand vor etwa 2000 Jahren die Moche-Kultur. Sie bauten monumentale Pyramiden und schufen beeindruckende Keramiken, die ihr tägliches Leben detailreich wiedergaben.
Um eine Brücke zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart der Region zu schlagen und die Erzählung über die Region neu auszubalancieren, untersuchte eine internationale Forschergruppe unter der Leitung der Universität Zürich, der Universität Cagliari und der Universidad de San Martín de Porres (USMP) in Lima mithilfe genetischer Analysen die Abstammungslinien der Bewohner der Nordküste Perus, die Tausende von Jahren zurückreichen.
Genetische Tests in lokalen Bevölkerungsgruppen
Die Forschenden sammelten Speichelproben von freiwilligen Teilnehmenden aus verschiedenen Dörfern an der Nordküste Perus, darunter auch kleine Fischergemeinden, in denen einst die heute ausgestorbene Mochica-Sprache gesprochen wurde. Aus diesen anonymen Proben extrahierten die Forschenden die genetischen Daten. Damit wollten sie die Geschichte dieser Menschen rekonstruieren.
„Wir haben mitochondriale und Y-Chromosom-DNA verwendet, die weit verbreitete Marker für genetische Studien sind und sich besonders gut für die Rekonstruktion von Genealogien eignen“, sagt die Hauptautorin Chiara Barbieri, Genetikerin an der Universität Zürich und der Universität Cagliari. Y-Chromosom-DNA hat die Besonderheit, dass sie nur vom Vater an männliche Kinder weitergegeben wird, während mitochondriale DNA nur von der Mutter an männliche und weibliche Kinder weitergegeben wird. Das Team konnte genetische Linien nachverfolgen, die nur an der Nordküste Perus und nicht im Rest des Kontinents zu finden sind, sowie genetische Linien, die mit anderen peruanischen und ecuadorianischen Gruppen verwandt sind.
Brückenschlag zwischen Vergangenheit und Gegenwart
Um moderne genetische Muster mit der Entwicklungsgeschichte der Region zu verbinden, verglich das Wissenschaftlerteam die neu gesammelten genetischen Daten mit alter DNA, die aus menschlichen Überresten gewonnen wurde, die an archäologischen Stätten in derselben Region gefunden wurden, wie beispielsweise La Galgada (vor ca. 4000 Jahren), El Brujo (vor ca. 1600 Jahren) und Huaca Prieta (vor ca. 1400 Jahren).
„Wir zeigen, dass die heute an der Nordküste lebenden Menschen mit Bevölkerungsgruppen verwandt sind, die einige der bemerkenswertesten vorspanischen Kulturen des Kontinents geprägt haben“, sagt Barbieri. Ihren Ergebnissen zufolge sind die lokalen Abstammungslinien tief in der Region verwurzelt: Einige der heutigen Bewohner*innen der Nordküste sind genetisch sehr nah mit den Menschen verwandt, die dort vor langer Zeit lebten. Dies liefert einen genetischen Beweis für die Kontinuität über Jahrtausende hinweg. Die Forschenden fanden auch eine Kluft zwischen dem Norden und dem Süden der Region in den genetischen Mustern, die mit den bekannten kulturellen und sprachlichen Grenzen aus der Zeit der Moche-Zivilisation übereinstimmt.
Linguistik, Archäologie und Genetik
Die genetischen Ergebnisse stützen archäologische Rekonstruktionen der Geschichte des Kontinents, aber die Forschenden haben auch die Linguistik einbezogen, um die Vergangenheit dieser Region besser zu verstehen. So war beispielsweise die peruanische Nordküste einst die Heimat verschiedener Sprachen, die heute nicht mehr gesprochen werden, aber dank historischer Dokumente aus der Kolonialzeit sowie lokaler Ortsnamen, Familiennamen und subtiler Spuren im heutigen Spanisch bekannt sind. „Diese Sprachen standen in keinem Zusammenhang mit den Sprachfamilien der Anden und Amazonas und müssen sich über Jahrtausende hinweg unabhängig entwickelt haben“, fügt Matthias Urban hinzu, Linguist am CNRS, der an der Studie beteiligt war.
Diese Signatur der lokalen kulturellen Entwicklung kann nun mit den charakteristischen genetischen Abstammungslinien der Region abgeglichen werden. „Dadurch können wir die lebenden Erben von Kulturen betrachten, die seit etwa 5.000 Jahren existieren, von denen jedoch nur die letzten 500 Jahre schriftlich dokumentiert sind“, erklärt Co-Autor Ricardo Fujita, Genetiker am Centro de Genética y Biología Molecular der USMP Lima. „Die Genetik liefert neue Erkenntnisse, die die Arbeit von Archäolog*innen und Linguist*innen ergänzen und die angestammten Verbindungen zwischen den heutigen Küsten-, Anden- und Amazonasbevölkerungen aufzeigen“, fasst Co-Autor José Sandoval von der USMP Lima zusammen.
