Wenn sich unsere Emotionen digital vereinen
Forscher der Universität Lausanne und der EPFL verfolgt das Ziel, die Art und Weise, wie die Schweizer Bevölkerung ihre Emotionen über Instant Messages teilt, zu analysieren. Die Studie, die vom Programm CROSS finanziert wird und in die Forschungsarbeiten des nationalen Forschungsschwerpunkts (NFS) Evolving Language integriert ist, ist insbesondere für den Erhalt des sprachlichen Erbes der Schweiz von Interesse.
Emilie Wyss
Zusammen mit Aris Xanthos & Andrea Grütter

Herzhaft lachen, weinen oder sogar stottern. Das Teilen unserer Emotionen ist ein natürliches Phänomen, das wir ab unserer Geburt lernen und sich sowohl durch unsere Sprache als auch unsere Körpersprache manifestiert. Aber wie können wir unsere Emotionen zeigen, wenn wir über Instant Messaging kommunizieren, wo wir uns nicht sehen oder hören?
Und genau um diese Frage zu beantworten, ist das Projekt ACCOMOJI, finanziert vom Programm CROSS der Universität Lausanne und der EPFL entstanden. „Wir untersuchen die Art und Weise, wie Schweizer Emojis bei ihrer Kommunikation untereinander verwenden, um ihre Rolle beim Management der sozialen und emotionalen Distanzierung zu verstehen“, erklärt Aris Xanthos, Lehr- und Forschungsrat an der Universität Lausanne (UNIL). Diese Studie läuft parallel zu jener, die Aris Xanthos mit seinem Team im Rahmen des Forschungsschwerpunkts Evolving Language zu Emojis aber auch zu Interjektionen, Kontraktionen und anderen Formen spezifischer Sprache im Zusammenhang mit dieser Art der Kommunikation zum Ausdruck von Emotionen durchführt.

Im Rahmen des Projektes ACCOMOJI greift Aris Xanthos gemeinsam mit Anita Auer (UNIL) und Robert West (EPFL), die das Projekt mit ihm leiten, auf einen partizipativen Forschungsansatz zurück, bei dem die Schweizer Bevölkerung dazu eingeladen wurde, die Emojis bei echten WhatsApp-Gesprächen zu notieren, und zwar im Hinblick auf ihre Funktion und ihren emotionalen Gehalt. „Wir haben WhatsApp-Gespräche gewählt, da es weitgehend in der Bevölkerung verwendet wird und zu einem Kommunikationsstandard geworden ist“, so Andrea Grütter, Doktorandin für Linguistik an der Universität Zürich und Forschungsassistentin an der UNIL, zu diesem Projekt. Die Forscher interessieren sich insbesondere für das Phänomen der Anpassung: „Mit der Zeit passen die Gesprächspartner ihre Kommunikation aneinander an. Wir erforschen, wie sich diese Dynamik in der Verwendung von Emojis im Verlauf der Konversationen widerspiegelt“, so Aris Xanthos.
“Wir rufen die Bevölkerung zum Mitmachen auf, denn die Computer sind noch nicht soweit, um gewisse Aspekte von Nachrichten zuverlässig analysieren zu können. Wie kann eine Maschine zum Beispiel Sarkasmus erkennen? Oder die Art der Beziehung zwischen zwei interagierenden Personen?”
Aris Xanthos
Das sprachliche Erbe der Schweiz erhalten
Die Problematik ist definitiv aktuell, denn der Chat ist heute wichtiger denn je. Zum einen in unseren privaten Kreisen, aber auch im Berufsleben, wo zwischen Kollegen oft Instant Messaging verwendet wird. Und die Pandemie hat diese Tendenz noch weiter gestärkt. WhatsApp hat zum Beispiel einen Anstieg von 40 % in den letzten beiden Märzwochen 2020 beobachtet, d.h. genau in der Zeit, in der die ersten Maßnahmen des Social Distancings in zahlreichen Ländern eingeführt wurden.
Es ist nicht das erste Mal, dass Emojis zum Gegenstand der Forschung werden. Die Originalität dieses Projektes liegt insbesondere in der Verwendung eines partizipativen Ansatzes (mithilfe von Ressourcen, die vom Citizen Science Center Zurich zur Verfügung gestellt wurden), im Gegensatz zum Crowdsourcing oder der Verwendung von Sprachverarbeitungsalgorithmen. Das Projekt zeichnet sich auch durch den Schwerpunkt auf die Schweizer Landessprachen und die Untersuchung eines Schweizer Korpus aus. Die Daten werden dem Korpus What’s Up, Switzerland? entnommen, der im Laufe des Sommers 2014 von einem Linguisten-Team erstellt wurde.

“Mit den Landessprachen zu arbeiten, ist eine wahre Herausforderung, da es relativ wenig Daten und linguistische Ressourcen gibt. Dieser Korpus ist wahrscheinlich der größte, den es aktuell gibt, und dennoch enthält er noch viel zu wenig Konversationen in den Minderheitensprachen. Dies ist aber eine zusätzliche Motivation, um mit diesen Daten zu arbeiten und zu versuchen, einen Stein zum Gebäude des sprachlichen Erbes der Schweiz beizutragen.“
Aris Xanthos
Aktuellste Konversationen in Minderheitensprachen
Neben Emojis werden unterschiedliche Arten zum Ausdruck von Emotionen in digitalen Konversationen verwendet, insbesondere:
- Die Wiederholung von Buchstaben
jaaaaaa
- Die Zeichensetzung
ja. – ja!!
- Die Emoticons
ja :-))
- Die Interjektionen
oui haha
- Die GIFs (Animiertes Bild, benannt nach seinem Computerformat, .gif, Abkürzung für Graphic Interchange Format)
„Die erste Tendenz, die wir feststellen konnten, ist, dass immer weniger Emojis verwendet werden, je länger eine Konversation zwischen zwei Personen läuft. Dafür könnte es mehrere Gründe geben, wie z. B. Sarkasmus, den man beispielsweise nicht mehr erklären muss“, analysiert Aris Xanthos. „Zudem scheint es eine Verbindung zwischen Emojis, Emoticons und Buchstabenwiederhollungen zu geben: Je mehr Emojis verwendet werden, desto weniger Emoticons oder Buchstabenwiederholungen gibt es“.
Diese Vorprüfung der Daten bestätigt die Wichtigkeit, jüngere und aus der Sicht der Linguistik diversifiziertere Daten zu sammeln. „Es kann durchaus sein, dass diese Tendenz zu einer reduzierten Verwendung von Emojis bei längeren Konversationen ein Phänomen ist, das speziell im Zeitraum der Datenerfassung, d.h. 2010-2014, genau am Anfang der Emojis auf iOS und Android, auftrat, und dass man diese vielleicht gar nicht mehr in neueren Daten beobachten kann“, so Aris Xanthos.

What’s New Switzerland
Diese neue Datensammlung, die „What‘s New Switzerland“ genannt wird, findet im Rahmen des nationalen Forschungsschwerpunktes (NFS) Evolving Language im Jahr 2022 statt. Sie wird gefolgt von einem erneuten Aufruf zur partizipativen Wissenschaft und danach von einer Computerverarbeitung der Daten mit einem Deep Learning System. In anderen Worten: Die Forscher werden Machine Learning Tools trainieren, um Emotionen in der digitalen Kommunikation identifizieren zu können.
Die Ergebnisse des Projektes CROSS und jene des NFS Evolving Language werden eine Evaluierung der Aussagekraft der Methoden und Modelle für die Untersuchung emotionaler Aspekte der digitalen Kommunikation ermöglichen. Zudem sollen sie zu einem Verständnis verhelfen, wie die Praktiken der partizipativen Wissenschaft auf die Linguistikforschung im multilingualen Kontext der Schweiz angewandt werden können.