Mama, Mama, sieh dir das Blatt an! Auch Schimpansen nutzen Gesten, um Aufmerksamkeit zu erregen
Forscher haben ein Schimpansenweibchen dabei beobachtet, wie es seiner Mutter ein Blatt zeigt. Auch wenn uns diese Geste recht unbedeutend erscheint – und bei Menschen sogar ziemlich banal – so ist sie doch bei Menschenaffen selten zu beobachten. Diese Szene, die in einem Wald in Uganda gefilmt wurde, ist eine wichtige Entdeckung für die Untersuchung der Entwicklung der menschlichen sozialen Kognition und das Verständnis der Entstehung der Sprache.
Im Kibale-Wald in Uganda gehen Fiona und ihre Mutter Sutherland, zwei erwachsene weibliche Schimpansen, ihren täglichen Beschäftigungen nach. Während Fiona gerade dabei ist, Blätter zu pflegen (eine bei dieser Spezies übliche Praxis, die darin besteht, ein Blatt abzureißen, es zu betrachten und zu streicheln), hält sie das Blatt ihrer Mutter hin, um es ihr zu zeigen… und nur um es ihr zu zeigen. Eine Geste, die für den Menschen unbedeutend erscheinen mag, die aber bei anderen Spezies kaum je beobachtet werden kann.
“Wilde Menschenaffen verwenden nur selten Referenzgesten, und wenn, dann scheinbar ausschliesslich zu zwingenden Zwecken, etwa wenn sie die Körperpflege kontrollieren wollen”, erklärt Simon W. Townsend, PI des NFS Evolving Language und einer der Autoren der Studie.
Fiona zeigt seiner Mutter ein Blatt. Claudia Wilke, Universität York
Die Forschenden fragten sich daher, ob Fiona wirklich die Absicht hatte, die Aufmerksamkeit um des Teilens willen zu teilen, oder ob ihre Geste falsch interpretiert worden war. Zu diesem Zweck verglichen sie 84 Videos von Blattpflegeszenen und analysierten die Gesten der Schimpansen. Ihrer Analyse zufolge hatte Fionas Geste offenbar keine andere Absicht, als die Aufmerksamkeit ihrer Mutter auf das Blatt zu lenken. Künftige Studien werden zeigen, wie oft und in welchem Kontext (in diesem Fall deutet die Mutter-Tochter-Bindung auf eine starke soziale Zusammengehörigkeit hin) Affen miteinander kommunizieren, nur um ihre Aufmerksamkeit zu teilen.
Warum ist dies für die Erforschung der Sprachevolution interessant?
Wir können bei archäologischen Ausgrabungen keine Spuren der Sprache der Vergangenheit finden. Aber wir können unsere Kommunikation mit der von anderen Arten vergleichen. “Die Erforschung von Schimpansen kann uns einen Einblick in die Kommunikation geben, zu der unser letzter gemeinsamer Vorfahre, der vor 6 Millionen Jahren lebte, fähig war. Unsere Arbeit deutet darauf hin, dass auch sie potenziell bereits referenzielle deklarative Signale verwendeten.
Literatur
Wilke, Claudia, Nicole J. Lahiff, Kris H. Sabbi, David P. Watts, Simon W. Townsend, and Katie E. Slocombe. 2022. “Declarative Referential Gesturing in a Wild Chimpanzee (Pan Troglodytes).” Proceedings of the National Academy of Sciences 119(47):e2206486119. doi: 10.1073/pnas.2206486119.