Ein Beispiel für die genetische Forschung mit indigenen Völkern
Kann die genetische Forschung mit indigenen Völkern unter ethisch vertretbareren Bedingungen durchgeführt werden? Davon waren Chiara Barbieri und ihr Team überzeugt, als sie ihre Arbeit den Mapuche begannen. Die Mapuche sind eine der 10 anerkannten indigenen Gruppen Chiles. Durch die Einbindung der lokalen Interessengruppen und Communitys in den Forschungsprozess sowie die aktive Rückgabe der Forschungsergebnisse wurde ein bedeutendes Vertrauensverhältnis aufgebaut. Die Interpretation der genetischen Ergebnisse konnte somit ebenfalls verbessert werden. In einem kürzlich erschienenen Artikel hat die Forschungsgruppe über diese Erfahrung berichtet, um Erkenntnisse zu teilen und eine transparente und integrative Wissenschaft zu fördern.
Bei der Durchführung von Forschungsarbeiten mit indigenen Völkern und Minderheitengruppen ist es wichtig, spezifische ethische Bedenken und Bedürfnisse zu berücksichtigen. Dies gilt insbesondere für den globalen Süden, wo es im Vergleich zu den Ländern des globalen Nordens an Gesetzen und Richtlinien für Studien mit indigenen Gemeinschaften mangelt. Chiara Barbieri (unabhängige Gruppenleiterin an der UZH) und ihr Team haben sich bei dieser innovativen Studie mit den Mapuche-Communitys in Chile beispielhaft für ethische und integrative Praktiken eingesetzt. Das Studiendesign wurde unter massgeblicher Beteiligung von Partnern aus Chile entwickelt, darunter ein Linguist, ein Archäologe und ein Anthropologe. Die Mapuche-Bevölkerung ist auch heute noch systematischer Diskriminierung sowie der drohenden Auslöschung ihrer Kultur ausgesetzt. Daher waren die Forschenden darauf bedacht, die Communitys in verschiedenste Aspekte ihrer Forschung einzubeziehen, von Anfang bis Ende.
Lokale Interessengruppen von Anfang an einbeziehen
Unter der Anleitung lokaler Projektmitarbeiter legten Chiara Barbieri und ihr Team grossen Wert darauf, die Stimmen und Perspektiven lokaler und indigener Interessengruppen einzubeziehen. “Diese Unterstützung war für den Austausch von Wissen, Ideen und Anliegen zwischen den Forschenden und den Gemeindemitgliedern von entscheidender Bedeutung, um einen respektvollen, wechselseitigen und kulturell sensiblen Dialog zu gewährleisten”, erklärt sie. Mit diesem Wissen und den Beiträgen der Beteiligten konnten sie das Design ihrer Studie auf sinnvolle und respektvolle Weise anpassen.
Eine aufgeklärte Zustimmung der Teilnehmenden ist ein essenzieller Schritt in jeder Forschung mit Probanden. Sie sollten umfassend über das Projekt, seine Vorteile und Risiken sowie die dahinterstehende Technologie informiert sein. “Es sollten besondere Anstrengungen unternommen werden, um sicherzustellen, dass die Teilnehmenden alle diese Aspekte durch einen Dialog auf Augenhöhe vollständig verstehen”, sagt sie. Es ist nicht immer möglich, mit Gemeinschaften zu arbeiten, die Diskriminierung erfahren haben. In der Tat berichteten viele Menschen von negativen Erfahrungen mit Forschenden wie: “Andere Akademiker*innen kamen, um uns zu studieren, aber sie kamen nie zurück”.
Rückkehr in die Gemeinschaft
Im Forschungsprozess ist es von zentraler Bedeutung, dass die Ergebnisse an die Communitys zurückgegeben werden. Epifanía Arango-Isaza, Doktorandin an der UZH und Erstautorin der Studie, kommentiert: “Es ist ein grundlegendes Recht sowohl für die Teilnehmenden als auch für die breitere Öffentlichkeit der Region, Zugang zu den Studienergebnissen zu haben.” In der Tat können diese Ergebnisse für die Teilnehmenden und ihre Gemeinschaft von unschätzbarem Wert sein, da sie zu einer umfassenderen und genaueren Geschichtsdarstellung beitragen. Es war wichtig, dass die Ergebnisse nicht nur den Teilnehmenden, sondern auch anderen lokalen Akteuren zugänglich gemacht wurden, die sich entweder als Mapuche identifizieren, von Mapuche abstammen oder in Kontakt mit der Mapuche-Bevölkerung leben. Es wurden 16 Treffen organisiert, um die Ergebnisse in Communitys und Schulen zu präsentieren (Abbildung 1 und 2), wobei an das Publikum angepasstes Material wie Allegorien und Abbildungen verwendet wurde (siehe Abbildung 3). “Aufgrund der variierenden biologischen Kenntnisse der Teilnehmenden unseres Projekts sowie der breiteren Öffentlichkeit der Region haben wir unsere Sprache jeweils entsprechend angepasst, um die Ergebnisse der Studie verständlich zu vermitteln.”, erklärt Arango-Isaza.
Für die Forschenden war es auch wichtig, Diskussionen auf Augenhöhe zu ermöglichen: Die Teilnehmenden wurden aufgefordert, Fragen zu stellen und ihre Gedanken zu den Ergebnissen zu äussern. So konnten die Forschenden auf verbreitete Missverständnisse eingehen, wie z. B. den genetischen Determinismus, da die Frage “Wie indigen bin ich?” von den Teilnehmern nicht selten gestellt wurde. “Identität sollte nicht an biologische oder phänotypische Faktoren gebunden sein, sondern an soziologische und kulturelle Elemente und die subjektive Dimension der Selbstidentifikation”, sagt Arango-Isaza. “Und wir sind der Meinung, dass Genetiker sich zu Wort melden können und sollten, um zu vermeiden, dass die indigene Identität auf rein genetische Faktoren reduziert wird.” Aufgeklärt durch diese Diskussionen konnten die Forschenden anschliessend ihren Artikel verfassen, wobei sie über vertiefte Einblicke in die Auswirkungen der Ergebnisse verfügten.
Ein Modell für künftige Forschung
Obwohl die Forschenden bei der Umsetzung dieser Initiativen auf Herausforderungen stiessen, war das erhaltene Feedback die zusätzliche Sorgfalt wert. Die Bemühungen, ihnen wichtige Informationen zu vermitteln, wurden von allen beteiligten Akteur*innen, einschliesslich Community-Leitenden, Teilnehmenden, Lehrer*innne und Schüler*innnen, geschätzt. Besonders wichtig sei es, dass die neue Generation ihre reiche Geschichte vor der spanischen Kolonialisierung kennenlernt, da diese in den Bildungsprogrammen Chiles nicht ausreichend dargestellt wird. Ausserdem waren viele Teilnehmenden daran interessiert, mehr zu erfahren. Laut Arango-Isaza “äusserten die Teilnehmenden häufig ihre Neugier und ihren Enthusiasmus für eine Ausweitung der Studie auf andere Bereiche”.
Die Umsetzung solcher Initiativen erfordert Zeit und finanzielle Mittel. Chiara Barbieri ist der Meinung, dass Förderorganisationen solche Massnahmen ausdrücklich berücksichtigen sollten. “Unsere Erfahrung unterstreicht einmal mehr die Notwendigkeit, dass Förderorganisationen die Bedeutung solcher Initiativen anerkennen und entsprechende Mittel dafür zur Verfügung stellen”, erklärt sie. Insgesamt hoffen die Forschenden, dass sie ein Beispiel dafür geben können, wie Forschung mit indigenen Gemeinschaften im globalen Süden in Zukunft durchgeführt werden kann.
Reference
Arango-Isaza Epifanía, Aninao María José, Campbell Roberto, Martínez Felipe I., Shimizu Kentaro K., Barbieri Chiara. 2023. Bridging the gap: returning genetic results to indigenous communities in Latin America. Frontiers in Genetics. https://doi.org/10.3389/fgene.2023.1304974